Der Weg des Herzen
Jeder Christ müsste auf
Berufung des Neuen Testamentes, jeder Buddhist mit Verweis auf die
Weisheitslehre „Dhammapada“, den Kriegsdienst verweigern. In beiden
Fällen heißt dies jedoch, dass man sich an der ursprünglichen Lehre
hält, die einfachen Worte versteht und lebt und sich von den
späteren verwässernden Interpretationen fernhält. So etwa beim Gebot
der Nächstenliebe (Markus 12,29 ff) dessen Umsetzung im Allgemeinen
gerne für ein unmögliches Anliegen gehalten wird und dessen
Einhaltung man allerhöchsten von Heiligen erwartet. Um das eigene
Handeln, das Machtbestreben und die Christianisierung der Kirche zu
rechtfertigen musste diese Bibelstelle durch andere relativiert
werden, wie etwa jener, die zur Ausrottung der Feinde Israels
aufrief (5.Mose 7,1). Welches katastrophalen Ausmaße das in der
Folge für die Menschheit hatte, lässt sich in der Geschichte ablesen
(Bekehrung der Heiden, Kreuzzüge, Inquisition etc.). Das paradoxe an
dem Gebot der Liebe ist, das die Aufforderung einfach zu verstehen
ist, jedoch so schwer zu verwirklichen scheint. Erst durch
schmerzliche Verluste oder der Lebenserfahrung wird uns manchmal
deren tiefere Bedeutung klar.
Der Pfad der Logik
Ein anderer Grund zur
Kriegsdienstverweigerung fordert unseren Verstand heraus. Voraussetzung dazu
ist, dass man sich mit der Geschichte der Menschheit auseinandersetzt.
In den Anfangstagen, als wir noch als Jäger und Sammler unterwegs waren,
kam es zu gewalttätigen Auseinandersetzungen, wenn ein fremder Stamm in
den von uns beanspruchten Lebensraum (Jagdgebiet) eindrang und somit den
Fortbestand des eigenen Stammes gefährdete.
Nachdem der Mensch durch den
Anbau der Landwirtschaft sesshaft geworden war und sich Berufsstände
gebildet hatten, konnte sich eine Klasse bilden - zu denen die
Herrschenden, Priester und Krieger zählten - die nicht unmittelbar am
Produktionsprozess beteiligt war. Die Krieger dienten sowohl zur
Eroberung und Verteidigung des Landes als auch zur Erhaltung der
Machtverhältnisse. Kriege wurden im Auftrag der Herrschenden zu deren
Bereicherung (bzw. Sicherstellung von Ressourcen) und Machterweiterung
geführt, schon im Altertum wurden zur Aufstockung des Heeres
Söldnertruppen eingesetzt. Krieg bedeutete für die Bevölkerung
Verwüstung, Plünderung, Sklaverei, Vergewaltigung und Tod, dabei wurden
sie oftmals selbst von den Truppen des eigenen Herrschers nicht
verschont. Egal wie der Krieg endete, Leidtragende waren immer die
Bürger. Sie zahlten mit ihrem Blut und Vermögen. Um ihren eigenen
Lebensraum zu mindestens ein wenig zu schützen, errichteten die Bewohner
vieler Orte Befestigungsanlagen (Stadtmauern).
Bis ins 18. Jahrhundert waren
die meisten Menschen Untertanen (Dritter Stand) eines absoluten
Herrschers und es gab für sie kein Grund sich an kriegerischen
Auseinandersetzungen zu beteiligen, da sich an ihrem Status - egal
welche Kriegspartei siegte - nichts änderte.
Falls das Volk doch einmal zu den
Waffen griff, von denen kaum welche in ihrem Besitz waren, dann geschah dies aus
purer Verzweiflung und richtet sich ausnahmslos gegen ihren jeweiligen
Herrscher. Auslöser waren in der Regel schlechte wirtschaftliche
Verhältnisse bzw. hohe Steuern, die zu einer solchen Notlage geführt
hatten, dass die Bevölkerung als letzten Ausweg vor dem drohenden
Hungertod den fast aussichtslosen Kampf
gegen die Streitkräfte des Herrschers mit dem Ziel von dessen Absetzung
sahen. In aller Regel
scheiterten diese Aufstände.
Folgenschwere Einschnitte in
der Geschichte waren der Amerikanische Unabhängigkeitskrieg (1775-83)
und insbesondere für Europa die Französische Revolution (1789). Im
Bürgertum war ein allgemeines Bestreben nach mehr Einfluss in den
Parlamenten entstanden, verbunden mit dem Wunsch nach einer
Demokratisierung des Staates oftmals auch mit der Forderung nach der
Abschaffung der Monarchie.
Dieses Aufbegehren war neben den Kriegen
gegen Napoleon im 19. Jahrhundert eine zusätzliche Gefahr für die
bestehenden
Kaiser- und Königreiche Europas, die im Begriff waren
auseinanderzufallen, da ihre Grenzen in der Regel durch
Eroberungsfeldzügen oder einer geschickten Heiratspolitik entstanden
waren. Nur sehr selten stimmten sie mit den Lebensräumen einzelner
Volksstämme überein. Diese bedrohliche Entwicklung des Zerfalls wurde jedoch selbst von den
radikalsten Revolutionären nicht angestrebt und so entstand zur
Erhaltung des Staats die Ideologie des Nationalismus. Sie gewann schnell in ganz Europa an Bedeutung und prägte die Märzrevolution
(1848/49) oder die „Wiedererstehung“ des italienischen Staats
(Risorgimento 1815-1870). Das Bestreben des Nationalismus war es alle
Bevölkerungsgruppen zu binden indem er die Nation zur höchsten und
letzten Instanz erklärte und die Abstammung bzw. die zufällige Geburt
auf seinem Staatsgebiet zu einer Errungenschaft erhob. So konnte z.B.
der größte Idiot darauf stolz sein „dem Volk der Dichter und Denker“
anzugehören (siehe: Arthur Schopenhauer).
Umso stärker der Einzelne sich mit seiner
Nationalität identifizierte umso empfindsamer reagierte er auf angebliche
oder aber auch auf tatsächliche Benachteiligungen, Beleidigungen
oder Aggressionen gegenüber seiner Nation und wurde so zu einem leichten
Opfer der Propaganda. Andere Nationen sind im besten Falle Rivalen
jedoch eher kulturlose Barbaren.
Der aufkommende Patriotismus spiegelte
sich auch in den Nationalhymnen wieder: „Deutschland, Deutschland über
alles“ (1841), „Lasst uns die Reihen schließen / Wir sind bereit zum Tod
/ Italien hat gerufen!“ (1847) oder in der Marseillaise „Zu den Waffen,
Bürger / Formiert eure Truppen/ Marschiert...“ (1792). Der Bürger wurde
aufgefordert für seine Nation einzustehen, zu kämpfen. Das
Machtbestreben, die Interessen der Herrschenden wurde so zum Anliegen
des Volkes deklamiert.
In Preußen wurde eine
allgemeine Wehrpflicht eingeführt (1814). In den meisten anderen
europäischen Staaten wurde die erforderliche Anzahl der Rekruten unter
den tauglich Gemusterten ausgelost. Es bestand jedoch die Möglichkeit
als Betroffener einen bezahlten Ersatzmann für sich zu stellen. So
konnten sich Vermögende vom Wehrdienst freikaufen. „Ich dachte immer, jeder Mensch sei gegen
den Krieg, bis ich herausfand, dass es welche gibt, die nicht hingehen
müssen.“ (Erich Maria Remarque)
In der Folgezeit waren in
Europa alle Kriege von einem extremen Nationalismus geprägt und die
Bevölkerung zog bereitwillig freudetrunken oder zumindest pflichtbewusst
aufs Schlachtfeld. Erst als die Ehemänner und Söhne fielen dämmerte es
dem Volk, es gab nichts zu gewinnen ...
Warum haben wir unser rotes
Herzblut dahingegeben?
Bei unserm Kaiser blieben
alle sechs am Leben.
Wir haben einmal geglaubt
... Wir waren schön dumm ... !
Uns haben sie besoffen
gemacht ...
Warum –?
Einer hat noch sechs Monate
im Lazarett geschrien.
Erst das Dörrgemüse und
zwei Stabsärzte erledigten ihn.
Einer wurde blind und nahm
heimlich Opium.
Drei von uns haben zusammen
nur einen Arm ...
Warum –?
(Auszug aus dem Gedicht: Kopf ab zum
Gebet, Kurt Tucholsky 1924)
In den Köpfen der Menschen
brauchte es jedoch keine zwei Jahrzehnte, da schienen die Schrecken des
Krieges schon wieder vergessen. Offenbar muss jede Generation die Leiden
des Krieges am eigenen Leib erfahren um einen Weg der Versöhnung zu
finden. Wie sonst ist es zu erklären, das seit Jahrtausenden der Mensch
sich gegenseitig umbringt, obwohl die Geschichte ihn doch gelehrt haben
müsste, dass er nicht ohne schmerzhafte Wunden aus einem bewaffneten Konflikt kommt.
Warum?
Was bewegt Menschen trotz
den schrecklichen Erfahrungen aus ihrer Geschichte immer
wieder bereitwillig dazu in den Krieg zu ziehen?
Was bewegt Menschen andere
Menschen zu töten, denen sie zuvor nie begegnet sind?
„Das Absurde und
Ungeheuerliche am Krieg ist, dass Männer, die keinen persönlichen Streit
haben, dazu ausgebildet werden, sich gegenseitig kaltblütig zu
ermorden.“ – Aldous Huxley
Muhammad Ali: „Mein Gewissen
erlaubt es mir nicht, einen Bruder zu erschießen. Wofür sollte ich sie
erschießen? Sie haben mich nie einen ‚Nigger‘ genannt. Sie haben meine
Mutter nicht vergewaltigt. Und sie haben auch meinen Vater nicht
umgebracht. Warum also sollte ich auf sie schießen?“
Um dies zu erreichen bedienen sich die Herrschenden
und die Kriegstreiber
einer einfachen Waffe, die aber um so wirkungsvoller ist: der Propaganda.
„Die Aufnahmefähigkeit der großen
Masse ist nur sehr beschränkt, das Verständnis klein, dafür jedoch die
Vergesslichkeit groß. Aus diesen Tatsachen heraus hat sich jede
wirkungsvolle Propaganda auf nur sehr wenige Punkte zu beschränken und
diese schlagwortartig so lange zu verwenden, bis auch bestimmt der
Letzte unter einem solchen Worte das Gewollte sich vorzustellen vermag.
Sowie man diesen Grundsatz opfert und vielseitig werden will, wird man
die Wirkung zum Zerflattern bringen, da die Menge den gebotenen Stoff
weder zu verdauen noch zu behalten vermag.“ - Adolf Hitler (Mein Kampf)
Die wahren Gründe eines Krieges müssen für die Bevölkerung verschleiert
werden bzw. akzeptabel sein. In der Vergangenheit hielt das Christentum
dafür her, denn die Heiden mussten bekehrt werden, notfalls getötet, nur so konnten die besetzten Ländereien und die Schiffsladungen voller
Reichtümer, die ins Heimatland flossen, gerechtfertigt werden.
Heute heißt es für die
Demokratie einzustehen, für die Freiheit und die Werte des Westens zu
kämpfen, dann wiederum darf man die Ölfelder im Irak oder Syrien
besetzen. So drohte Jimmy Carter schon am 23.1.1980:
„Jeder Versuch einer ausländischen Macht, die Region des Persischen
Golfs in ihre Gewalt zu bringen, wird als Angriff auf die vitalen
Interessen der USA betrachtet. Ein solcher Angriff wird mit allen
nötigen Mitteln zurückgeschlagen werden, militärische Gewalt
eingeschlossen.“ (State of the Union Address. Washington, DC) Was folgte ist wohl allgemein
bekannt. (Wer immer noch von Amerikas freiheitlichen, demokratischen
Mission überzeugt ist, sollte sich bei Wikipedia mal die Liste der
Militäroperationen der Vereinigten Staaten und bekannte
Operationen der CIA ansehen.)
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